Die Sephiroth I 1991

Zehn Inventionen für Altsaxofon und Orgel

I. Kether (Krone) II. Chockmah (Weisheit) III. Binah (Verstehen) IV. Chesed (Barmherzigkeit) V. Beburah (Stärke) VI. Tipheret (Schönheit) VII. Netzach (Sieg) VIII. Hod (Herrlichkeit) IX. Jesod (Fundament) X. Malkuth (Reich)

Die Sephiroth bezeichnen in der jüdischen Kabbala zehn schöpferischen Weltpotenzen, in denen sich abgestuft das göttliche Ursein manifestiert. Der organische Zuisammenhalt wird häufig als „Baum" dargestellt. Diese Idee des Baumes war für die strukturelle Ebene des Zyklus von Dieter Buwen von Bedeutung. Ihm liegt – gewissermaßen als „roter Faden" - eine Zwölftonreihe zugrund, aus der mittels Auswahlverfahren, Permutation, Transposition, Interpolation u.ä. das gesamte musikalische Material gewonnen wird.

Zwölftonreihe: ges1 – f1 – h1 – c2 – d2 – gis1 – a1 – b1 – e1 – g1 – es1 - des1

So wie sich die jüdische Musik mit Begriffs- und Zahlenspielen beschäftigt, mit dem vermeintlichen geheimen, mystischen Sinn des Alten Testaments, so treten in den einzelnen Stücken die Bezüge zum jeweiligen Thema mehr oder weniger verdeckt bzw. offen zutage.

Ein direkter Zugang ist in den Stücken Chesed (Barmherzigkeit) und Geburah (Stärke) möglich. Hier sind einerseits das „Mitleiden", durch die an barocke Figurenlehre gemahnende Seufzermotivik und ihre Imitation zwischen Orgel und Saxofon im Vierteltonabstand, andererseits die „Kraft und die Stärke" durch starre Repetitionen und Ostinati der Orgel im Fortissimo in unmittelbare musikalische Gestik umgesetzt .

Ähnlich verhält es sich mit dem achten Stück des Zyklus, Hod (Herrlichkeit): Auf der Basis eines einzigen Klanges (Quinte mit großer und kleiner Terz, einem „Durmollklang") entwickelt sich eine Steigerung vom leisesten 8'- Register bis zum strahlenden Orgeltutti. Engste Materialbegrenzung auch im Saxofon. Vom tiefstmöglichen Ton „des" schwillt der Klang an bis zum stärksten Fortissimo auf dem höchsten Ton „as"' ". Auch hier als Rahmenintervall die Quinte, symbolisch das Alpha und Omega, Himmel und Erde, gleichzeitig auch das Begrenzungsintervall der dem Zyklus zugrundeliegenden Reihe.

Hintergründiger geht es z.B. im Stück Tipheret (Schönheit) zu. Rein satztechnisch handelt es sich um einen fünffachen Kanon, bei dem die einzelnen Stimmen in Originalgestalt, Krebs, Umkehrung, und Krebsumkehrung sowie in unterschiedlichen rhythmischen Proportionen, und als Ganzes ab der Mitte rückläufig komponiert sind. Wie auch in anderen Stücken des Zyklus, hier aber am sinnfälligsten, tritt das Saxofon als zusätzliches Orgelregister auf, verschmilzt mit dem Orgelklang. Schönheit als innere Schönheit. In den gängigen Darstellungen der Sephiroth ist Tipheret das Herzstück des „Lebensbaums".

In Chockmah (Weisheit) steht eine minimalistische Kompositionstechnik für die Idee der Weisheit. Sechs permanent sich wiederholende Töne im Saxofon (die Töne 1, 3, 5, 7,9, 11 der transponierten Reihe) werden von sieben Tonlängen überlagert. Ist in diesem Rotationsprinzip der Ausgangspunkt wieder erreicht, fällt ein Ton weg und ein neuer rhythmischer Wert tritt hinzu. Dieses Prinzip wird bis zum Schluss durchgehalten, so dass schließlich nur noch ein Ton übrigbleibt. Das Ende ist von vornherein vorprogrammiert. In der Orgel umgekehrt: ein dreitöniges Ostinato wird immer mehr erweitert (Töne 2, 4, 6, 8, 10, 12), darüber ein Klangband aus demselben Material. Weisheit als überlegenes Wissen, als Gesamtschau aller Möglichkeiten.

Binah (Verstehen): Am Anfang: jedes Instrument für sich, das Gegenteil des anderen spielend, im Laufe der Entwicklung Annäherung bis zum Unisono.

Netzach (Sieg): Klar definierte Akkordbildungen verschmelzen mit ausgeprägten Mehrklangpassagen des Saxofons zur reinen Klangfarbe. Sieg der Klangfarbe über Melodie, Akkord und Struktur. Die Klangfarbe selbst wird zur Struktur.

Jesod (Fundament): Schichtung der verschiedenen Erscheinungsformen (Grundgestalt, Krebs, Umkehrung, Krebsumkehrung) der dem Zyklus zugrundeliegenden Reihe mit einer nach oben hin immer schnelleren Abfolge der einzelnen Reihentöne. Dieser Typus - Cantusfirmus in langen Notenwerten in der tiefsten Stimme, darüberliegend bewegtere Stimmen - bildet die Grundlage der abendländischen Mehrstimmigkeit.

Kether (Krone) und Malkuth (Reich) bilden die Klammer des Zyklus. Wahrend in Kether die beiden Instrumente trotz eines freien Taktes streng aneinander gekoppelt sind - sie verlaufen spiegelbildlich gegeneinander um sich dann zu kreuzen - bewegt sich im abschließenden Malkuth das Saxophon vollkommen frei (senza misura). Höchstes und tiefstes Orgelregister markieren die einzigen Grenzen. Gemeinsam ist diesen Ecksätzen die Gleichzeitigkeit tiefster und höchster Lagen sowie liegende Orgelklänge, wodurch zwischen ihnen eine latente Verbindung aufrecht erhalten wird. Zwischen Krone und Wurzel fließt die Energie. Hierin findet die Idee des Baumes ihre Entsprechung.

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