Exodus 1995

4 Trompeten, 3 Posaunen, Orgel, Schlagwerk (2) [Röhrenglocken: b, e1, f1, g1, b1, cis2, e2, f2, fis2 - falls kein fis2 vorhanden, dann fis1; 1 große Trommel - von 2 SpielerInnen zu bedienen; 1 großes Tamtam, 1 Vibrafon)

Exodus - Sonata da chiesa

Die Konzeption des Stücks ist die eines Diptychons: zwei in sich gegensätzliche , dabei von einer Grund-idee ausgehende Teile. Der Titel Exodus bezieht sich dabei nicht konkret auf das 2. Buch Mose (Auszug der Israeliten aus Ägypten), sondern soll verstanden werden als ein „Exodus ins Größere". Die Erfahrung des alltäglichen Daseins wird mit der Vorstellung eines „jenseits davon" konfrontiert. Über die wechsel-volle Hell-Dunkel-Welt der sterblichen Zustände wird ein höheres Stockwerk dauernder Wissens-Helligkeit gesetzt (P. Sloterdijk, Weltfremdheit, Suhrkamp 1993, S. 244 ff.) So lebt der erste Teil des Diptychons aus jenen Gegensätzen von hoch-tief, laut-leise, hell-dunkel, schnell-langsam, eng-weit usw. Die Aufstellung der einzelnen Instrumente im Raum soll diese Vorstellung einer Art Antiphonie als Gegeneinander aku-stisch und visuell verdeutlichen. Eine latente Kreuzigungsstruktur (im übrigen auch aus dem Partiturbild ersichtlich) führt schließlich zu Unisono-Repetitionen von Orgel und Schlagzeug, die gewissermaßen die akustische Achse der gesamten Komposition bilden. Nach diesem Konkretismus des kleinräumigen Alltags (P. Sloterdijk) erfolgt der Brückenschlag, der Exodus ins Größere, die Aussicht auf das Ganze. Der zweite Teil setzt sich daher radikal vom ersten allein schon durch seine statische Haltung ab. Über-schrieben ist er mit einem Wort des Propheten Jesaja. „Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, an das Frühere wird man nicht mehr denken..."(Jesaja 65, 17). In der Offenbarung des Johannes heißt es über dieses „himmlische Jerusalem": „Eine Mauer hat sie, groß und hoch, hat zwölf Tore und über den Toren zwölf Engel, und Namen sind daraufgeschrieben; es sind die Namen der zwölf Stämme Israels. Von Osten drei Tore, von Süden drei Tore, von Norden drei Tore und von Westen drei Tore..." (Joh. 21,12 f.) Die bis ins Detail gehende Beschreibung der „himmlischen Architektur" hat mich dazu bewogen, diese auch musikalisch-strukturell nachzuzeichnen. Vier Trompeten spielen - aus verschiedenen Richtungen - einen mehrfachen Kanon (in Umkehrung, Krebs, Krebsumkehrung, und in verschie-denen rhythmischen Proportionen), der sich in einem ununterbrochenen Klangstrom der Orgel fortbe-wegt. In den Längenverhältnissen, d.h. in den Dauern der einzelnen Töne spiegeln sich symbolisch die 12 Stämme Israels mit ihrem Stammvater Jakob wider (z.B. ergibt sich als Summe der Buchstaben des Namens Jakob nach dem griechischen Alphabet die Zahl 63, die des Namens Juda 67 usw.). Nicht nur die Tonlängen der vier Trompeten, sondern auch der gesamte Orgelpart folgt diesen Proportionen, so-wohl die Tonfolgen als auch die Klangveränderungen betreffend. Analog den 12 Stämmen mit ihrem Stammvater dient als Tonmaterial eine 13-Tonreihe. Diese stellt ab der Mitte (Ton e) den Krebs der Umkehrung zur ersten Hälfte dar, ist also in sich symmetrisch angelegt. Im übrigen bilden Anfangs-, Schluß- und mittlerer Ton (g-e-cis) mit dem doppelt auftretenden b die Achse dieser Reihe. Diese vier Töne teilen die Oktave in vier gleiche Teile. Mit dem Zusammenklang dieser vier Töne in Glocken und Vibraphon endet auch das Stück, die himmlische Architektur ist gewissermaßen „vollendet", während im ersten Teil mit den Tönen g-e-cis (in weiträumig angelegten Repetitionsmustern) der Kreis noch nicht geschlossen wird . Ebenfalls ist die Zusammensetzung des Instrumentariums symbolhaft zu verstehen: 7 Blasinstru-mente, wiederum gegliedert in 3 und 4 . Die Sieben als heilige Zahl, als Symbol der Verbindung von Himmel (3) und Erde (4). Die Gesamtzahl der Instrumente bzw. der Ausführenden ist 10 (= Gesetz). Das Aufzeigen einiger weniger dieser penibel ausgeführten Strukturen soll natürlich nicht ablenken vom - wie auch immer gearteten - Gehalt der Komposition. Es soll lediglich dokumentiert werden, daß Idee und Struktur auf einer anderen Ebene zur Deckung kommen. So ist auch nicht der hörende Nachvollzug dieser komplexen kanonischen Strukturen entscheidend. Vielmehr ist geboten, sich auf das „Abenteuer der Verallgemeinerung einzulassen, auf das Zusammengehören im begriffenen Großen" (Sloterdijk). Dieser zweite Teil der Komposition soll in Gegenüberstellung zum ersten Teil die Vorstellung einer Utopie von einer Zone dauernder Helligkeit vermitteln, Tag jenseits von Tag, Licht jenseits von Entflammen und Verlöschen, Wachheit jenseits von Wachen und Schlafen.

Hörbeispiel
Exodus.m4a
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Schlagwörter

| Ensemble | Orgel | Posaune | Schlagwerk | Trompete |